Von KI-generierten Botschaften bis hin zu seelenlosen Stock-Visuals – Marketing wird effizienter, aber auch austauschbarer. Doch wer im digitalen Dauerrauschen auffallen will, muss mehr als Performance liefern: Er muss Marke sein.
Willkommen im Zeitalter des Copy-Paste-Marketings
Künstliche Intelligenz hat das Marketing demokratisiert – aber auch uniformiert. Texte entstehen in Sekunden, Visuals in Prompt-Zeit, Videos in wenigen Klicks. Die Effizienz steigt, die Originalität sinkt. Alles ist schnell, alles ist gut genug – aber nichts bleibt hängen.
Was folgt, ist eine neue Art der Beliebigkeit. Die Differenzierung, früher Markenkern, heute oft Nebensache. Kommunikationsmittel gleichen sich. Claims wirken generisch. Bildwelten wiederholen sich in endlosen Variationen von „divers, freundlich, digital“.
In dieser Austauschbarkeit gewinnt eine Fähigkeit dramatisch an Bedeutung: Wiedererkennbarkeit. Keine stilistische Spielerei, sondern die zentrale Währung einer Marke im Zeitalter der Reizüberflutung.
Brand Building is back – aber auf welcher Grundlage?
Lange galt: Performance regiert. Der heilige Gral waren KPIs, Conversions, Attribution Models. Branding? Schön, wenn Zeit bleibt. Doch genau das ändert sich gerade.
Laut dem aktuellen McKinsey-Report „State of Marketing 2024“ zählt Markenbildung wieder zu den Top-Prioritäten der CMOs – noch vor datengetriebener Personalisierung. Der Grund: Der ROI reiner Performance-Massnahmen ist endlich. Man kann einen Funnel nur so oft optimieren, bis die Luft raus ist.
Doch Markenbildung beginnt nicht mit Kommunikation – sondern mit Klarheit. Wer sind wir? Wofür stehen wir? Und: Was macht uns einzigartig? Wer ohne starke Markenbasis in Kommunikation investiert, poliert Fassade statt Fundament. Und riskiert, als Marke nicht einmal wahrgenommen zu werden.
Inhouse first – aber nicht im Branding
Marketingabteilungen haben sich in den letzten Jahren transformiert. Content-Teams, Design Units, Paid-Media-Expertise – alles wird zunehmend in-house gemacht. Und das hat gute Gründe: Schnelligkeit, Nähe, Kontrolle.
Doch genau dort, wo es um Identität, strategische Differenzierung und Markenführung geht, stoßen viele Inhouse-Teams an ihre Grenzen. Zu nah dran, zu operativ, zu wenig Widerspruch. Branding ist unbequem. Es fordert heraus. Es braucht externe Perspektive – nicht, weil intern nichts geht, sondern weil intern oft zu viel geht.
Ein starker Marken-Refresh entsteht selten zwischen Meetings. Es braucht Fokus, Tiefe und den Mut zur Konfrontation. Oder wie ein CMO es treffend formulierte: „Wir sind zu nah dran, um noch klar zu sehen.“ Wer nur intern denkt, bleibt im Bestehenden gefangen. Wer sich herausfordern lässt, schafft Neues.
Marketing vs. Branding: Wer macht hier eigentlich was?
Die Grenzen zwischen Marketing und Branding sind heute weniger funktional als mental. Branding baut Identität, Werte, Wiedererkennung. Marketing aktiviert, orchestriert, bringt in Bewegung. Beide haben ihre Rolle – und beide brauchen einander. Was sich verändert hat, ist die Aufmerksamkeitsspanne des Markts. Viele Unternehmen fokussieren sich auf die 5 % der Zielgruppe, die gerade im Markt sind. Die übrigen 95 % werden ignoriert – weil sie gerade keinen Bedarf haben.
Dabei beginnt der Weg zur Marke genau dort. Branding wirkt unter der Oberfläche. Es baut Beziehung, bevor ein Produkt überhaupt in Frage kommt. Und sorgt dafür, dass, wenn der Moment da ist, nicht erst verglichen, sondern entschieden wird. Die klassische Funnel-Logik – oben Awareness, unten Conversion – greift in der Realität oft zu kurz. Menschen bewegen sich nicht linear. Sie informieren sich, springen, vergessen, kommen zurück. Wer dabei nur auf kurzfristige Aktivierung setzt, verliert mittelfristig an Bedeutung.
Seamless Experience: Konsistenz schlägt Lautstärke
Noch nie war es so einfach, Markenbotschaften zu verbreiten. Und noch nie war es so schwer, dabei konsistent zu bleiben. Unterschiedliche Kampagnen, Kanäle, Tonalitäten – und all das gleichzeitig. Markenerlebnisse finden heute nicht mehr nacheinander statt, sondern gleichzeitig. Auf TikTok, LinkedIn, in Suchmaschinen, im persönlichen Gespräch. Jeder Bruch fällt auf. Jede Inkonsistenz schwächt das Vertrauen.
Deshalb braucht es ein Branding, das mehr ist als ein Designsystem. Es braucht einen klaren Markenkern, eine Sprache, eine visuelle Identität, die überall wiedererkennbar ist – ohne gleich zu wirken. Vor allem aber braucht es ein Profil, das im Wettbewerbsumfeld Kontrast erzeugt.
Wiedererkennbarkeit darf nicht im eigenen Saft gekocht werden. Sie muss sich abheben – gegen ähnliche Angebote, ähnliche Botschaften, ähnliche Bilder. Nur wer sein Markenversprechen klar differenziert formuliert und dieses sichtbar und glaubwürdig in ein einzigartiges Markenerscheinungsbild übersetzt, kann in überfüllten Märkten bestehen.
Konsistenz ohne Differenzierung ist Wiederholung. Differenzierung ohne Konsistenz ist Verwirrung. Nur beides zusammen wird zur Marke.
Markenkommunikation endet dabei nicht beim Kunden. Auch Mitarbeitende und Bewerber*innen erleben die Marke – oft zuerst über Karriereseiten, Social Media oder Plattformen wie Glassdoor. Wenn das Employer Branding nicht auf dem gleichen Fundament wie das Markenbranding aufbaut, entsteht ein Bruch. Und dieser Bruch wirkt: intern wie extern. Eine wirklich starke Marke ist deshalb nicht nur über Kanäle konsistent, sondern auch über Zielgruppen hinweg – von Kundenerlebnis bis Unternehmenskultur.
Wiedererkennbarkeit ist mehr als visuell: Die unterschätzte Macht des Sounds
Wenn wir über Branding sprechen, reden wir fast immer über das, was wir sehen. Logos, Farben, Typografie. Doch das, was wir hören, bleibt oft viel länger im Kopf. Marken wie Netflix, Apple oder die Telekom haben längst erkannt, was viele noch übersehen: Sound ist Erinnerung. Ein einzelner Ton kann sofort Emotionen, Erwartungen und Vertrauen wecken – ohne ein einziges Wort.
Und doch: Audio Branding ist in vielen Unternehmen ein weisser Fleck. Warum? Weil man es nicht einfach im Designsystem anlegen kann. Es ist weniger greifbar – aber dafür umso wirkungsvoller. In einer Welt voller Podcasts, Voice Interfaces und akustischer Berührungspunkte ist klar: Eine starke Marke sieht man nicht nur – man hört sie.
User Experience: Das Interface als wahre Markenbühne
Viele Unternehmen glauben, ihre Marke lebe in der Kampagne. Die Realität? Sie lebt im Self-Service-Bereich. In der App. Im Ladezustand. In der Passwort-vergessen-Funktion.
User Experience ist längst die stille Bühne der Marke. Und sie hat enorme Wirkung. Wenn sich alles gleich anfühlt – von Buttons bis zur Sprache –, verliert die Marke ihren Charakter. Wenn jede Interaktion glatt, aber beliebig ist, entsteht keine Beziehung.
Die stärksten Marken der Gegenwart schaffen Differenzierung im Detail: durch Tonalität, durch unerwartete Mikro-Interaktionen, durch mutige UX-Konzepte. Sie zeigen Haltung – selbst im letzten Mouseover. UX ist heute kein Servicethema mehr. Es ist ein Brandingthema. Und es wird Zeit, dass wir es auch so behandeln. Und genau deshalb wird User Experience zur neuen Frontlinie der Markenführung – nicht laut, aber entscheidend.
Branding ist kein Luxus. Es ist Überlebensstrategie. Wer heute sichtbar sein will, muss wiedererkennbar sein. Wer gehört werden will, muss zuerst wissen, wofür er steht. Künstliche Intelligenz wird vieles übernehmen. Aber nicht das, was Marken ausmacht: Haltung. Charakter. Einzigartigkeit. Das bleibt menschlich. Und das bleibt entscheidend.
Wer jetzt in ein starkes, klares Branding investiert, legt das Fundament für alles, was kommt – automatisiert oder nicht.